Immer wieder kommt es vor, daß mich eine Schülerin oder ein Schüler fragt: Was muss ich denn tun und üben, damit ich ein Vibrato bekomme und warum ist das bei mir nicht vorhanden/unzuverlässig/nicht kontrollierbar?

Ich denke, hier geht es um das Zusammenspiel von Technik und sängerischem Ausdruckswillen. Vielen gilt das Vibrato als eine Art Qualitätsmerkmal guten Gesanges. Dies gilt insbesondere für den klassischen Gesang. Aber auch im Musical werden hohe Anforderungen an ein schönes und vor allem kontrollierbares Vibrato gestellt. Ein Vibrato, das "natürlich" ist und sich "von alleine" einstellt, das aber auch angehalten werden kann. Ein gerader Ton soll willentlich in das Vibrato überführt werden können und umgekehrt.

Das Vibrato ist gewissermaßen etwas Besonderes, ein Mysterium und ausgesprochen individuell. Es kann sehr schnell und flirrend sein, aber auch eher groß schwingend. Manchmal ist es von Anfang an schon da, obwohl jemand als AnfängerIn noch gar keine Gesangstechnik erlernt hat. In anderen Fällen singt jemand seit vielen Jahren schon sehr gut, viel und sogar erfolgreich und hat/nutzt doch wenig bis gar kein Vibrato.

Die meisten gesangstechnischen Aspekte wie die Vokalraumnutzung, Vokalüberformung, Atemverbindung, Register und Registerübergänge und auch Stilistiken wie Belting und Twang lassen sich sehr gut erklären und durch Übungen erlernen. Das Vibrato gehört demgegenüber eher zu den Phänomenen der stimmlichen Ausbildung, die eher indirekt erlernt und geübt werden.

Das Vibrato wird nicht direkt geübt, es gibt keine expliziten "Vibratoübungen", zumal man das Vibrato ja auch erst dann "üben" könnte, wenn eines da ist.

Die beste "Übung" aus meiner Sicht, um Vibrato zu entwickeln, sind Schwelltöne. Lange Töne oder Intervalle mit einer gesteuerten Lautstärken - Dynamik. Die Vorstellung dabei ist auch, den genutzten Klangraum zu vergrößern und wieder zu verkleinern, um Dynamik zu erzeugen. Die Atemverbindung-, und Atemführung ist dabei Wesentlich, die auch für die Steuerung des "natürlichen" Vibrato ausschlaggebend ist.

Ein Ton mit Vibrato fühlt sich in der Atemverbindung elastisch an, ein gerader Ton fühlt sich gerade an.

Als Hilfestellungen können bestimmte Hand-, oder Armbewegungen genutzt werden oder auch Hilfsmittel wie das Theraband oder ein Jo-Jo.

Und dennoch entzieht sich das "natürliche" Vibrato nicht selten diesen technischen Herangehensweisen. Aus meiner Erfahrung heraus hat die schwingende Stimme eben auch viel mit dem Sich-loslassen-können zu tun. Das schwingen kann nicht "gemacht" werden, es wird nur "ausgelöst". Und das auch dann, wenn es sich um eine Form von "Fake Vibrato" handelt, beispielsweise durch Unterkiefer-, oder Kopfbewegungen.

Auch kann es möglicherweise durch Hörgewohnheiten angeregt oder verhindert werden. Welche Art von Gesang wird bevorzugt gehört und wie setzen deine persönlichen LieblingssängerInnen das Vibrato ein?

Auf der physischen Ebene versuchen wir also, das Vibrato durch verschiedene Übungen zu triggern und auszulösen. Auf der psychischen Ebene finden wir es "schön" oder vielleicht auch "nervig", wir wollen es "haben" oder "loswerden", je nachdem.

Auf der spirituellen Ebene ist das individuelle, natürliche Vibrato ein unwillkürlicher seelischer Ausdruck und die Technik dient eben diesem Ausdruck und der sängerischen Hingabe.

Durch Vorstellungskraft kann das schwingen der Stimme gefunden oder auch verhindert werden. Die Frage ist also, welche innere Idee ich von meiner Stimme, meiner singenden Persönlichkeit und dem Ausdruck in den gewählten Songs vorwegnehme?

Kannst du es dir erlauben, dich selber, deinen Körper und deine Seele dem Schwingen zur Verfügung zu stellen und zum klingenden Instrument zu werden? Was würde passieren, wenn du die Kontrolle aufgibst und "es" in dir oder durch dich schwingt?

Viele Menschen sind ausgesprochen perfektionistisch. Sie haben Angst, Fehler zu machen, nicht schön zu klingen, daneben zu singen. Die Angst erzeugt ein sich festhalten und somit können auch die Töne nicht frei schwingen und klingen "gehalten". Die Chance, das Vibrato zu finden steigt also mit dem Mut zu weniger Perfektionismus und mehr Experimentierfreude. Andererseits entsteht es aber auch nicht automatisch aus dem Chaos schlechter oder gar nicht vorhandener Technik.

Das Können dient der Hingabe, ebenso wie umgekehrt die Hingabe  erst die Technik beseelt. Im Gesangsunterricht bin ich daher keine Freundin ständiger auschließlicher Technikübungen und allzu perfektionistischer und detailversessener Songbearbeitungen. Oft bietet es sich an, vom Großen ins Kleine hinein zu arbeiten, einen Song erst als Ganzes und mit viel Mut zur Unperfektheit zu "erkunden", um dann in die technischen Details zu schauen.

Auch steht für mich bei Popsongs der individuelle Ausdruck eher im Fokus als eine vorgegebene Interpretation, die sich am Original orientiert. Bei Musicalsongs und klassischen Stücken ist das natürlich etwas anders, weil es da prägendere stilistische und auch rollenbedingte Vorgaben gibt.

Das Vibrato bleibt aber in jedem Fall ein individueller Ausdruck.